Arquivo Mestre – Januário Jano in der Galerie Jean-Claude Maier pt. 01

Januário Jano (*1979 in Luanda, Angola) befasst sich in seiner künstlerischen Arbeit mit Prozessen des Erinnerns und der Idee von kultureller Zugehörigkeit. In seinen Performances, großformatigen Textilarbeiten, Foto- und Videoinstallationen verwebt der zwischen Lissabon, London und Luanda lebende Künstler traditionelle Praktiken der Ambundu mit popkulturellen Elementen.
Arquivo Mestre ist seine erste Einzelausstellung in Deutschland. Sie ist ab 18. Mai 2021 in der Frankfurter Galerie Jean-Claude Maier zu sehen. Die eigens für die Ausstellung entstandenen Werke sind rein ästhetisch erfahrbar, laden zugleich ein zur intensiveren Ergründung. Jeder Blick, jedes Hinhören, verspricht eine neue Entdeckung, einen weiteren Hinweis, auf bisher Verborgenes: Vogelgezwitscher empfängt die Besucher:innen der Ausstellung. Keine lebenden Tiere, sondern Tonaufnahmen längst ausgestorbener Arten tönen aus Lautsprecherboxen. Für die Soundinstallation Dusky Dorky – Looking for Dodo durchforschte Jano das Sound-Archiv des Britisch Museum in London, das bekannt ist für seine umfangreichen Sammlungen kolonialer Aneignungen. Das Trällern wird zur Geisterstimme, die von vergangenen Zeiten erzählt, zum Kazumbi, einem Geist aus einer anderen Welt wie im traditionellen Glaubenssystem der Ambundu. Im Museum sind die Vogelstimmen Archivobjekt: dokumentiert, inventarisiert, gewaltsam dem natürlichen Lebensraum entrissen.
Kazumbi ist auch der Titel der ausgestellten Videoarbeit. Wie von einer fremden Kraft ergriffen bewegt sich Jano auf den Bildschirmen zu rhythmischen Atemgeräuschen. Er trägt dabei ein weißes Kleid, eines, das auch seine Großmutter getragen haben könnte, damals zu Kolonialzeiten im heutigen Angola. Kein traditionelles Gewand, sondern eines im Stil der kolonialen Herrschaften, das zugleich an klerikale Gewänder erinnert. Die Kleidung des weißen Mannes, der weißen Frau, war ein erster Schritt im Prozess der kulturellen Assimilation, weg von der eigenen Erzählung, der kollektiven Erinnerung, weg von den Mponda, wie die gürtelartigen Baumwolltaschen heißen, in die die Frauen der Ambundu ihre Geschichten stets bei sich bewahrten.
Die textilen Arbeiten Janos wirken wie eine in den Raum greifende Erweiterung dieser: Stoffbahnen, Taschen, Ausbuchtungen, Muster, aufgedruckte Formen und Fotografien, bunte Nähte und Fäden werden zur umgestülpten Mponda. Keine gradlinige Erzählung, vielmehr Erinnerung, wie sie funktioniert: verschlungen, springend, schleppend, mäandernd, plötzlich, sich mit anderen Erzählungen überlappend ständig verändernd.
Mit Arquivo Mestre leistet die Galerie Jean-Claude Maier einen Beitrag zu hochaktuellen Debatten um Erinnerung, Deutungsmacht, Multiperspektivität und kulturelle Identität. Wie kann der globale Norden seine Verantwortung in post-kolonialen Zeiten leben? Inwiefern prägt der Kolonialismus globales Zusammenleben bis heute? Wie wird ein Miteinander auf Augenhöhe denkbar?
Janos Fotoarbeiten zeigen Spuren kolonialer Gewalt. Christliche Kreuze dienten den Eroberern als Markierung erfolgreicher Missionierung, d.h. auch Verdrängung indigener kultureller Praktiken, Traditionen und Handwerke. Auf dem Praça De Escravos, dem Platz der Sklaven wurden unterm Kreuz Menschen zu Sklaven gemacht. Not Stolen Goods ist eine sechs-teilige Installation, bestehend aus Transportkisten und Fotografien, die Objekte aus Angola zeigen, die zu Kolonialzeiten geraubt wurden und sich heute in europäischen Museen befinden. Wurden sie in solchen Kisten transportiert? Werden sie in solchen zurückkehren oder bleibt nur ihre fotografische Dokumentation, ihr digitaler Alias?
Es heißt über 80% des kulturellen Erbes Afrikas befindet sich in Museen, privaten Sammlungen und Depots außerhalb des Kontinents. Eine junge Generation Europäer:innen, Nachfahren afrikanischer Herkunft, stellt zunehmend Fragen, auch nach einer gemeinsamen kulturellen Identität, jenseits von Fremdmachung und weißer Dominanzkultur. In künstlerischen Arbeiten werden Mythen und Geschichten ihrer Ahnen lebendig, verschmelzen mit gelebtem Alltag heute, schaffen neue hybride Realitäten, die sich längst nicht mehr in Hier und Dort unterscheiden lassen.

(Pressetext)

Zur Ausstellung erscheint ein Film sowie eine Künstleredition.
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